Dienstag, 20. September 2022

Die brasilianischen Präsidentschaftswahlen

Am 2. Oktober wird der neue brasilianische Präsident gewählt und eines kann bereits vorweggenommen werden. So sicher, wie die Wahlniederlage von Präsident Jair Bolsonaro noch vor wenigen Wochen prophezeit wurde, dürfte das jetzt nicht mehr sein.

Das Mitte-Links-Bündnis mit dem Namen „Hoffnung Brasilien“ hat Luiz Inácio da Silva (Lula) offiziell als Präsidentschaftskandidat, für die Wahlen am 2. Oktober, registrieren lassen. Für das Amt des Vizepräsidenten wurde der ehemalige Bürgermeister von Sao Paulo, Geradlo Alckmin auserkoren. Dieses extrem breit aufgestellte Wahlbündnis besteht aus insgesamt neuen Parteien. Dazu zählen u.a. die Arbeiterpartei (PT), die Sozialistische Partei (PSB), die Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL), die Grüne Partei (PV), die Parteien, Netzwerk, Solidarität, Vorwärts und Handeln. Na gut, jetzt habe ich doch gleich alle genannt.

Wie heißt es im Wahlprogramm dieses Bündnisses?

Die Demokratie, der Wiederaufbau des Staates und die Souveränität des Landes sind nun das Gebot der Stunde.

Insgesamt sind in dem 21 Seiten starken Schriftstück Themen wie z.B. der Kampf gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben enthalten. Vor allem die Post, Petrobras und Eletrobras, sollen unbedingt im staatlichen Besitz verbleiben. Ein großes Anliegen ist auch das Sozialprogramme wie „Bolsa Familia“ (die Lebensmitteltasche) und „Fame Zero“ (Kein Hunger), zum neuen Leben erweckt werden sollen. Diese Sozialprogramme wurden in der ersten Amtszeit von Lula da Silva, in den Jahren 2003 bis 2006, ins Leben gerufen.

Die beiden Sozialprogramme waren wichtig, um die Armut von Millionen von Brasilianer*innen zu lindern. Es ist damals gelungen, die Kinderarbeit und die Unterernährung von Kindern und Jugendlichen, im hohen Ausmaß zu unterbinden. Der aktuelle Präsident Jair Bolsonaro hat diese Programme fast gänzlich beendet.

Im Wahlprogramm des großen Bündnisses ist man sich auch darüber einig, dass Umweltdelikte, viel stärker strafrechtlich verfolgt und geandet werdet müssen. Die Umweltpolitik von Jair Bolsonaro, wird nicht zu Unrecht, als katastrophal bezeichnet. Das Wahlbündnis erinnert nicht zuletzt auch an die verheerenden, riesigen Waldbrände im Jahr 2019, als die Regierung Bolsonaro, tausende von Quadratkilometern Tropenwald, in Ackerland für die Konzerne umwandelte.

Ein wichtiges Anliegen vom Bündnis „Hoffnung Brasilien“ ist es die bereits seit Jahrzehnten von tausenden landlosen Bauern geforderten Agrarreformen, endlich zu realisieren. Das ist allerdings ein Konflikt, welcher nicht nur Brasilien, sondern auf ganz Lateinamerika zutrifft. Sollte Brasilien hier eine einschneidende Änderung ins Leben rufen, dann hätte das gewiss eine Signalwirkung für alle anderen lateinamerikanischen Länder.

Wenn man der demografischen Studie von Datafolha, vom 28. Juli 2022 glauben schenken darf – ja das ist bereits lange her, aber eine ähnliche Studie dieser Größenordnung hat es seither nicht gegeben – ist Lula der Top-Favorit bei den Präsidentschaftswahlen. 47 % der Befragten haben die Absicht geäußert ihn zu wählen. Für den Amtsinhaber Jair Bolsonaro sprachen sich hingegen nur 29 % der Befragten aus.

Bei den aktuelleren Umfragedaten ergibt sich, dass es in der Zwischenzeit zu Verschiebungen, zugunsten von Bolsonaro gekommen ist. Während der Unterschied bei der ärmlichen Bevölkerung Brasiliens zuvor ein plus von 33 % für Lula ergab, sind es jetzt nur noch 27 %. Bei der reicheren Bevölkerung hat sich der Abstand zugunsten von Bolsonaro von 4 auf 13 % vergrößert.

Wie ködert Bolsonaro die reichere Schicht und wie die Armen?

Banken, Versicherungen, Industrielle und Agrarunternehmer fordert er auf, sich von Lula zu distanzieren, außer sie wollen sich ihr eigenes Grab schaufeln.

Geldgeschenke sollen ihm hingegen die Gunst der armen Bevölkerung sichern. In den Großstädten des Landes, sind bereits 24 % der Bevölkerung von Armut betroffen. Diesen Menschen versprach er also für den Zeitraum August bis November Geldgeschenke. 20 Millionen Brasilianer*innen sollen davon profitieren. Die Unterstützung soll pro Kopf und Nase 117 US-Dollar betragen.

Lula da Silva meint zu Bolsonaros Almosen: „Es gibt keinen Präzedenzfall in der Geschichte Brasiliens von jemandem, der 57 Tage vor den Wahlen beschließt, 50 Milliarden Reais als soziale Unterstützung zu verteilen, die nur bis zum Dezember andauert“.

Die Frage des Mercosur-EU-Abkommens

Lula da Silva hat bereits angekündigt, für den Fall, dass er zum Präsidenten gewählt würde, die Wirksamkeit des Abkommens in Frage zu stellen. Jetzt ergänze ich noch schnell, dass das Abkommen im Juni 2019, nach jahrzehntelangen Verhandlungen zwar abgeschlossen, aber noch immer nicht in Kraft ist, weil es von einige EU-Mitgliedstaaten noch immer nicht ratifiziert wurde.

Österreich ist übrigens eines dieser Länder. Es ist die Sorge vor den Nachteilen für europäische Landwirte und auch jene, wegen unzureichender Umweltstandards, welche Österreich an einer Ratifizierung hindert.

Für Lula stellt sich die Frage des Abkommens aber deshalb, weil er viel mehr die Re-Industrialisierung von Brasilien, aber auch von Argentinien anstrebt und deshalb müssen das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur, neu ausverhandelt werden. Zum Mercosur gehören derzeit: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.

Lula vertritt interessanterweise die Ansicht, dass bei dem derzeitig, ausverhandelten Abkommen, Südamerika der klare Verlierer wäre. Eines der dafür passenden Zitate von Lula: „Es kann nicht nur der eine gewinnen und der andere nicht. Wir wollen unser Recht, uns zu Re-industrialisieren, nicht aufgeben. Die Verhandlungen müssen etwas sein, bei dem alle gewinnen".

Eine Neuverhandlung hat für Lula allerdings keine Eile, weil zuerst einmal die Grundlagen, welche für die wirtschaftliche Entwicklung Südamerikas wichtig sind, zuerst einmal entsprechend angepasst werden müssen. Die Beziehungen zu der EU seien übrigens stets bestmöglich gewesen und er sehe kein Problem darin, das Abkommen neu auszuverhandeln.

Die Kritiker in Südamerika sehen beim EU-Mercosur Abkommen die Gefahr, dass die EU industriellen Güter liefert, während der Mercosur vor allem Agrarprodukte und Rohstoffe, auf Kosten der Umwelt, exportiert. In seiner derzeitigen Form, würde das Abkommen vor allem der Industrie in Argentinien und Brasilien schaden. In Brasilien ist der Anteil des industriellen Sektors am BIP, von 30 auf 11 % gesunken.

Diesen Trend wolle Lula, für den Fall, dass er die Präsidentschaftswahl gewinnen sollte, umkehren.

Aufgrund der russischen Invasion in die Ukraine, oder wie Lula es bezeichnet, des Russland-Ukraine-Krieges, stehe die Welt vor geopolitischen Veränderungen. Für die EU bedeutet dieses, dass Südamerika ein noch wichtigerer, alternativer Handelspartner und zudem auch politischer Partner wird. Eine Neuverhandlung würde für Südamerika jedenfalls positiv ausfallen. Für Europa könne Südamerika „ein Hauch von Ruhe und Möglichkeiten“ sein. Lula würde zudem daran arbeiten, dass mit seiner Wahl, Südamerika in zahlreiche Verhandlungen, mit den verschiedensten Wirtschaftsblöcken treten würde.

Ein Wahlsieg von Lula würde wohl tatsächlich die Fronten einiger EU-Länder gegen das EU-Mercosur Abkommen aufweichen. Lula wäre ein Garant dafür, dass mehr für die Erhaltung des Amazonasgebietes unternommen würde.

Das Nachrichtenportal Euroactiv hat übrigens davon berichtet, dass die EU bereits an die Regierung Bolsonaro herangetreten sei, um eine neue Gesprächsrunde zum Abkommen, in Gang zu setzen. Bis zum Ende des Jahres, solle es eine Zusatzvereinbarung zum Umweltschutz geben. Angeblich haben bereits erste Gespräche zwischen dem Außen- und dem Wirtschaftsministerium stattgefunden.

Nach der Abhängigkeit der EU von den fossilen Rohstoffen, eröffnen sich beim Verhandlungspoker, deutlich bessere Chance für die Merosur-Staaten. Sie könnten dadurch zu einem der Gewinner der russischen Invasion in die Ukraine werden.



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