Dienstag, 28. Januar 2020

60.000 vermisste Personen in Mexiko

Zum ersten Mal hat die mexikanische Regierung ein umfangreiches Datenmaterial über die Zahl der verschwundenen Menschen Mexikos veröffentlicht. Seit 1964 sind mehr als 60.000 Personen als vermisst gemeldet und bis zum heutigen Tag nicht gefunden worden. Etwa 75% aller vermissten Personen sind Männer und ca. 11.000 Verschwundene waren zum Zeitpunkt ihres Verschwindens minderjährig.

Wer glaubt, dass in den letzten Jahren nicht mehr so viele Menschen verschwinden, den muss ich enttäuschen. Alleine in den letzten vier Jahren sind mehr als 20.000 Personen als vermisst gemeldet worden und nicht wieder aufgetaucht. Selbst die Regierungsvertreter sprechen in diesem Zusammenhang von einem großen Versagen und einer Mitschuld der staatlichen Institutionen.

Exakte Zahlen kann ich für das erste Regierungsjahr des linken Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador liefern. Er hat sein Amt im Dezember 2018 angetreten und seither gelten 5.184 Personen als vermisst. Aus 873 entdeckten, weil versteckten Gräbern, wurden die Leichname von 1.124 Menschen geborgen. 325 von ihnen konnten bisher identifiziert werden. In Mexiko herrscht besonders in den Bundesstaaten Sinaloa, Colima, Veracruz, Sonora und Jalisco, seit Jahren ein heftiger Drogenkrieg und genau dort wurden die meisten menschlichen Überreste entdeckt.

Alejandro Encinas Rodriguez ist der Staatssekretär für Menschenrechte, Migration und Bevölkerung. Gemeinsam mit Karla Quintana, der Nationalen Kommissarin für Personensuche, hat er als Vertreter der mexikanischen Regierung den aktuellen Bericht vorgestellt. Der Bericht inkludiert die Daten aus 21 der 32 mexikanischen Bundesstaaten. Die restlichen elf sind noch dabei die Daten „zusammenzutragen“ und zu systematisieren. Der Staatssekretär spricht in diesem Zusammenhang vom bisherigen Mangel an politischem Willen die aktuelle Situation in Mexiko zu ändern. 

Von der Notwendigkeit waren wohl schon viele Minister und Staatssekretäre überzeugt, aber der Wille diese Situation zu ändern, hat auch mit einem enormen Mut zu tun und entspricht in etwa jener der italienischen Mafiajäger der 80iger und 90iger Jahre. Bis zum heutigen Tag unvergessen ist der Jurist und Untersuchungsrichter Giovanni Falcone, welcher durch ein Bombenattentat am 23. Mai 1992 aus dem Leben gerissen wurde. Am 19. Juli 1992 wurde auch sein Kollege und engster Vertrauter (er kannte ihn bereits als Kind und wuchs mit ihm auf), Paolo Borsellino sein Leben bei einem Sprengstoffanschlag aushauchen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Vorgängerregierungen das Problem der vermissten Personen nicht sichtbar machen wollten. Alejandro Encinas hat in einem Interview mit der Zeitung El Pais betont, dass die Staatsorgane eine Mitschuld an Gewalt und Kriminalität im Land tragen: Ich nehme an, dass ein großer Teil dieser Gewalt von staatlichen Stellen, von Staatsangestellten, verursacht wird, von denen viele mit kriminellen Gruppen kooperieren. Behörden würden dabei helfen, ein Klima der Intoleranz gegenüber Menschenrechtsverteidigern und Journalisten in vielen Regionen zu schaffen.“

Ein Beispiel, welches weltweite Bekanntheit erlangte ist jener Fall der 43 vermissten Studenten aus Avotzinapa. Die Männer waren Teil einer Gruppe, welche am 26. September 2014 auf dem Weg zu einer Demonstration von örtlichen Polizeibeamten aufgehalten wurden. Was danach folgte, ist für unser Denkvermögen schwer vorstellbar. Sechs Studenten wurde an Ort und Stelle von den Polizisten erschossen und zahlreiche Personen festgenommen. 43 Studenten wurden an Angehörige des Drogenkartells Guerreros Unidos übergeben. Von ihnen fehlt bis zum heutigen Tag jegliche Spur.

Am 24. Jänner 2015 berichtete die Zeitung Milenio unter Berufung auf Vernehmungsprotokolle, dass der als „El Cepillo“ bekannte Auftragskiller die Ermordung von mindestens 15 Studenten gestanden habe. Die Studenten seien ihm von einigen Polizeichefs lebend übergeben worden und er habe sie dann gemeinsam mit Komplizen erschossen. Mindestens 25 starben nach seiner Aussage an Erstickung. Auch andere Mitglieder des Drogenkartells haben die Ermordung und Verbrennung der Studenten zugegeben.

Der unfassbare Skandal weitete sich aus, als ein Richter im September des vergangenen Jahres entschieden hat die 24 Verdächtigen, noch während der laufenden Ermittlungen, aus dem Gefängnis zu entlassen. Mittlerweile sind bereits 77 von 142 mutmaßlichen Tätern aus der Haft entlassen worden.

Vor kurzem hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission der mexikanischen Regierung vorgeschlagen, die unabhängige Expertenkommission erneut einzusetzen...

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