Sonntag, 16. August 2020

Freiheit für Belarus

Aljaksandr Lukaschenka gilt als letzter Diktator von Europa. Ich hätte da zwar noch ein paar andere Kandidaten im Talon, welche die dafür nötigen Anlagen aufweisen, aber ok. Diktator Lukaschenka hatte nichts anderes im Sinn, als zum sechsten Mal zum Präsidenten von Belarus gewählt zu werden. Alles hätte so schön bleiben können, wenn er nicht diesen dummen, kleinen, regierungskritischen Blogger Sergej Tichanowskaja, verhaften hätte lassen. Es konnte ja niemand ahnen, dass seine Frau Swetlana Tichanowskaja, in so kurzer Zeit einen derartigen Hype in der Bevölkerung auslösen konnte, dass diese eine ernst zu nehmende Gegnerin für den Präsidentschaftswahlkampf wurde.

Swetlana Tichanowskaja wurde von zahlreichen Oppositionskandidaten unterstützt, welche nicht zur Wahl zugelassen wurden. Dazu zählte beispielsweise der ehemalige Banken-Chef Viktor Babariko. Er gehört zu jenen Personen, welche politisch inszeniert, verhaftet wurden. Innerhalb weniger Wochen wurde aus Swetlana Tichanowskaja die große Hoffnung der Opposition in Belarus. Einen großen Anteil daran, hat ihre Wahlkampfleiterin Maria Moroz. Sie wurde noch am Vorabend der Präsidentschaftswahl festgenommen, um kurze Zeit später wieder freigelassen zu werden. Ebenfalls verhaftet wurde Maria Kolesnikowa – sie ist die zweite Lichtgestalt neben Maria Moroz, aus dem Wahlkampfstab von Swetlana Tichanowskaja. Sie kam noch am Samstag frei.

Noch am Vorabend der Wahl erklärte Aljaksandr Lukaschenka, dass er die Armee einsetzen würde, wenn jemand versuchen würde, ihm die Macht zu entreißen. Der Staatsagentur Belta zufolge sprach er: "Es kann keine Rede davon sein, dass mit dem morgigen Tag im Land Chaos und Bürgerkrieg ausbrechen. Es gerät nichts außer Kontrolle. Das garantiere ich." Lukaschenka lässt übrigens immer noch die Todesstrafe vollstrecken.

Wer wurde im Vorfeld der Wahl noch verhaftet?

Politikberater Witali Schkliarow wurde Ende Juli beim Besuch seiner Eltern verhaftet. Er ist gebürtiger Belarusse und lebt nun in Washington. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Schuld an den Massenunruhen vor der Wahl sei, weil er diese organisiert hätte. Sein Anwalt teilte mit, dass Schkliarow nunmehr eine dreijährige Haftstrafe drohen. Das Staatsfernsehen verkündete, dass er den inhaftierten Blogger Sergej Tichanowski beraten habe. Schkliarow bestreitet dies allerdings. Als Politikberater ist er übrigens sehr bekannt, weil er u.a. Präsidentschaftskandidaten in den USA, Russland und auch in der Ukraine beraten hat.

Einen Tag vor der Wahl wurden auch drei russische Oppositionelle festgenommen, welche nach Belarus gekommen waren, um als Wahlbeobachter zu fungieren. Es handelt sich dabei um die Bewegung Open Russia und es wurden der Geschäftsführer Andrej Piwowarow, sowie zwei weitere Mitglieder der Bewegung aus einem Bus gezerrt und ohne einer Erklärung verhaftet. Piwowarow drohen nun 15 Tage Hafen wegen Widerstands gegen Grenzbeamte. Am Wahltag selbst wurden immer wieder Menschen vom Gehsteig weg verschleppt und es kam zu zahlreichen, oft willkürlichen Festnahmen. Dazu gehörte auch ein Team des russischen Internet-Fernsehkanals Doschd.

Die Stimmzettel wurden massenhaft manipuliert und zusätzlich fiel das Internet aus. A1, in Belarus höchst aktiv, hat explizit erklärt, für die Abschaltung nicht verantwortlich gewesen zu sein. Die eigene Seite habe zudem hervorragend funktioniert. Zufälligerweise waren allerdings sämtliche regierungskritischen Seiten in Belarus nicht abrufbar...

6,8 Millionen Menschen wurden dazu aufgerufen, an der Wahl teilzunehmen und sie folgten dem Aufruf in einer riesigen Schar. Enorme Schlangen bildeten sich vor den diversen Wahllokalen und die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja wurde heftigst umjubelt mit: „Sweta, Sweta!“ Rufen. Ihr Bestreben war es diese Wahl zu gewinnen, um als Präsidentin, sämtliche politische Gefangenen zu befreien. Danach wollte sie freie Wahlen abhalten.

Zu einer kreativen Idee der Opposition gehörte es, dass die Wähler*innen ihre Wahlzettel vier bis sechs Mal falten sollten. Nachdem in Belarus die Wahlurnen durchsichtig sind, konnte man auf diese Art und Weise sofort erkennen, wie viele Menschen, ungefähr, für die Oppositionskandidatin gestimmt haben.

Kurz nach Wahlschluss gab es bereits die ersten Prognosen zum Wahlausgang der Präsidentschaftswahl und diese besagten, dass Lukaschenka 79,7 % und Swetlana Tichanowskaja lediglich 6,8 % der Stimmen auf sich vereinen konnte. Bereits am nächsten Morgen erklärte die Wahlkommission, mit der Sprecherin Lilija Jermoschina, Aljaksandr Lukaschenka mit 80,23 % zum Sieger. Seine Rivalin wäre demnach auf lediglich 9,9 % gekommen. Dieses Ergebnis war fern jeglicher Realität. Das einzige Ergebnis welches stimmte, könnte die Wahlbeteiligung in der Höhe von 84% gewesen sein.

Nach der Verkündung der ersten Wahlprognosen versammelten sich bereits zehntausende Menschen, um ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen und gegen die Wahlfälschung auf die Straße zu gehen. In der Nacht kam es dann bereits zu den ersten blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, welche brutal gegen die friedlichen Demonstranten vorging und Wasserwerfer, Gummigeschosse und auch Blendgranaten einsetzte. In der Hauptstadt Minsk sind vermutlich etwa 100.000 Menschen demonstrieren gegangen. Menschenmassen zogen nicht nur in Minsk durch die Straßen, sondern auch in vielen anderen Städten von Belarus.

Immer wieder wurden in den sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, welche die Brutalität zeigten, mit welcher die Polizisten auf die Menschen einprügelten. Um Festnahmen zu verhindern, griffen die Demonstranten ihrerseits Polizisten an und begannen diese zu verjagen. In der Nacht meldete sich dann Swetlana Tichanowskaja zu Wort und rief die Sicherheitskräfte des Landes, zum Gewaltverzicht auf. "Ich möchte Polizei und Militär daran erinnern, dass sie Teil des Volkes sind", sagte sie nach Angaben ihres Wahlkampfstabs. Sie bat ihre Anhänger eindringlichst darum, dass sie auf Provokationen verzichten sollten.

Gegen die gewaltigen Menschenmassen konnten an manchen Orten die Polizisten nichts ausrichten und gegen die Bevölkerung Widerstand leisten. Die Menschen riefen die Polizisten dazu auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und sich dem Volk anzuschließen. Einige örtliche Wahlkommissionen traten am Abend vor die Demonstranten und verkündeten ihrerseits die echten Ergebnisse ihres Ortes. Dabei wurde offensichtlich, dass Diktator Lukaschenka eine herbe Niederlage einstecken musste. Seine Kontrahentin errang nämlich durchwegs 80 bis 90 % der Wählerstimmen. Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die offiziell verkündeten Zahlen genau umgekehrt sein könnten.

Zu welchen Abscheulichkeiten die Sicherheitskräfte fähig sind, musste man in den nächsten vier Tagen nur all zu drastisch erkennen. Mindestens zwei Tote, hunderte Verletzte und tausende gefolterte Menschen sind zu beklagen. Insgesamt sind mehr als 7.000 Personen verhaftet worden. Auf Videos ist zu sehen, wie Fahrer wahllos aus ihren Autos gezerrt und verprügelt wurden. Menschen, welche gefoltert wurden, zeigen ihre schlimmen Verletzungen auf Videos. Da klingt es wie ein Hohn, wenn sich der Innenminister des Landes öffentlich entschuldigt, dass bei den Amtshandlungen auch friedliche Demonstranten zu Schaden gekommen sind.

Die Proteste der Menschen sind fast durchwegs dezentral organisiert. Hervorzuheben sind höchstens die Administratoren von diversen Telegramkanälen. Als Beispiel dafür will ich Stepan Putilo erwähnen. Er lebt in Warschau und betreibt den Kanal „Nexta“. Auf Twitter verbreite ich selbst, zahlreiche seiner Videos. Es ist die Dezentralität, welche es den Sicherheitskräften erschwert, die Lage in Belarus unter Kontrolle zu bekommen. Der Unmut der Menschen fokussiert sich bei weitem nicht nur in Minsk, sondern im ganzen Land. Fakt ist, dass Lukaschenka nicht so einfach aufgeben wird. Solidaritäts-bekundungen, auch aus den Reihen der Sicherheitsdiensten weisen darauf hin, dass die Reihen des Regimes nicht so sehr geschlossen sind, wie es der Diktator gerne hätte.

An der Spitze der Demonstranten gibt es keine Politiker*innen. Diese dienen lediglich als Symbolfiguren. Es werden auch keine Programme für eine etwaige Zeit nach Lukaschenka verfasst. Dies hat den Nachteil, dass wenn die Proteste gegen den Diktator am Ende erfolgreich sind, es zur Planlosigkeit kommen könnte.

Die EU scheint sowieso, wieder einmal, plan- und ratlos zu sein und ist, wie so oft, gespalten. Erinnern wir uns ein wenig zurück. 2016 hat die EU, Sanktionen gegen insgesamt 170 Funktionäre und Unternehmungen zurückgenommen. Sie waren an Menschen-rechtsverletzungen und Wahlfälschungen beteiligt. Derzeit gibt es nur noch gegen vier Personen Sanktionen. Diese sollen an politisch motivierten Ermordungen, rund um die Jahrtausendwende verantwortlich sein. Vielleicht sollte man sich ein Vorbild an Litauen nehmen. Litauen forderte, dass man einen Nationalrat bilden sollte, in welchem auch die Zivilgesellschaft eingebunden werden sollte. Eine kurzfristige Option wäre es auch, wenn man politisch Verfolgten, Asyl gewährt. So einfach das jetzt klingen mag, aber wichtig ist, dass man die derzeitigen Geschehnisse mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. In der Vergangenheit hat sogar das oftmals gefehlt.

Swetlana Tichanowskaja ist indes zur Ausreise aus Belarus gezwungen worden. Sie selbst bestreitet dies in einer Videobotschaft und verkündet, dass es sich dabei um ihre eigene, alleinige Entscheidung handelt. Es ist gut möglich, dass man Sie unter Druck gesetzt hat. Immerhin befindet sich ihr Mann in Haft. Swetlana Tichanowskaja befindet sich, angeblich auch mit ihren Kindern, in Litauen. Der litauische Außenminister verkündete, dass sie sich nunmehr in Sicherheit befindet.

Wie wird sich wohl Russland in dieser Angelegenheit verhalten?

Es sind jedenfalls bereits zwei Militärmaschinen nach Minsk geflogen. Ob dies ein gutes Zeichen ist? Schön wäre es, wenn diese gekommen wären, um Lukaschenka abzuholen und ihm in Russland Asyl zu gewähren. Selbst wenn das stimmen sollte – wie wird sich Putin danach verhalten? Wird er die Chance nutzen und Belarus wieder – heim ins Reich – holen oder ist ihm die Sache doch zu heiß, weil er dabei gar nicht so viel gewinnen könnte? Sanktionen gegen Russland gibt es seit der Ukraine bereits genügend und viel mehr kann sich das Land gar nicht mehr erlauben.

Vergessen wir aber eines nicht – Lukaschenka hat 1997 ein Abkommen unterschrieben, welches den Zusammenschluss beider Länder vorsieht. Inzwischen distanziert er sich zwar davon, aber das Abkommen existiert weiterhin. Das Verhältnis zu Russland ist seit dem Einmarsch in die Ukraine eindeutig abgekühlt. Lukaschenka hat nämlich seither Angst, dass man das Abkommen dafür nutzen könne, um ihn abzusetzen und Belarus wieder ins russische Reich einzugliedern.

Wie es in Belarus weitergeht, werden wohl die nächsten Stunden und Tage zeigen. Wer mir auf Twitter folgt: https://twitter.com/PeterFlieger wird auch zu diesem Thema, ständig auf dem aktuellen Stand sein.

Möge Belarus bald frei sein!





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