Sonntag, 30. Dezember 2018

Mehr Anerkennung für pflegende Angehörige

Wir haben keine Anerkennungskultur. „Well done“ oder „Good job“ geht den Amerikanern viel leichter über die Lippen als uns ein „gut gemacht“. Wir haben aber nicht nur ein Problem beim Anerkennen guter Leistungen, sondern auch mit der Annahme eines Lobes. Lob ist einem ja beinahe unangenehm, obwohl es einem doch sehr freut.

Die soziale Anerkennung ist ein Grundbedürfnis wie Essen, Trinken oder Schlafen und die gegenseitige Anerkennung ist wichtig für jede Art von Zusammenleben. Wo die Anerkennung als Person und für das eigene Handeln fehlt, fühlen sich Menschen irgendwann unsichtbar. Wer nicht anerkannt wird, gerät in Gefahr, zum Außenseiter zu werden.


In der häuslichen Pflege wird in der Regel durch pflegende Angehörige nicht die viele Arbeit, sondern das Gefühl sich immerzu anzustrengen, ohne dafür Anerkennung zu bekommen beklagt. Je größer die Diskrepanz zwischen enormer Anstrengung und geringer Wertschätzung ist, umso größer ist der emotionale Stress, welcher zu körperlichen und seelischen Alarmzeichen führen kann. Die Folge können Unzufriedenheit, Resignation, Depression oder/und eine Krankheit sein.

In unseren Breiten erfahren pflegende Angehörige eine noch geringere Anerkennung als beruflich Pflegende. Die selbst organisierte häusliche Pflege ist gesetzlich nicht gleichberechtigt zur ambulanten Pflege durch einen Dienstleister oder zur stationären Pflege – trotz der weithin erhobenen Forderung „ambulant vor stationär“. Welch netter Widerspruch...

Die sozialen Sicherungsleistungen für pflegende Angehörige sind wohl eher mit einer „Belobigung“ als mit einer echten Anerkennung durch die Politik und Gesellschaft zu bezeichnen. Wird von schlechten Bedingungen in der Pflege gesprochen, sind damit beruflich Pflegende, aber nicht die pflegenden Angehörigen, oder ehrenamtlichen „Laienpfleger“ gemeint. Ohne Lobby gibt’s für die pflegenden Angehörigen auch keine gleichberechtigte Wertschätzung und damit verbunden „selbstverfreilich“ auch keine Anerkennung.

Im Austausch mit Anderen entwickelt der Mensch seine Identität, seine Eigenschaften und seine Persönlichkeit. Durch die Reaktionen unserer Umwelt entwickeln und bewahren wir unser Selbstwertgefühl.

Sind pflegende Angehörige gesellschaftlich akzeptiert? Erhalten sie Lob und Respekt für ihre Entscheidung einen nahen Angehörigen oder eine ihnen nahe stehende Person zu pflegen? Werden diese Menschen wertgeschätzt für ihre Tätigkeit und können sie aus dieser Wertschätzung ein hohes Selbstwertgefühl ableiten? Das ist leider selten der Fall.

Was ist das für ein Phänomen, dass wir uns mit Anerkennung so schwertun? Die meisten wissen oder ahnen zumindest, dass das Anerkennen wichtig ist, aber anscheinend wissen viele nicht, wie Anerkennen wirklich geht. Pflegende Angehörige brauchen eine ernst gemeinte, soziale, gesellschaftliche und politische Anerkennung.

Anerkennen braucht zunächst das Erkennen. Um zu erkennen, muss ich kennen. Und wann kennen wir? Wenn wir gesehen, wahrgenommen und im besten Fall selbst erfahren, bzw. erlebt haben. Häusliche Pflege und das Engagement pflegender Angehöriger findet aber zumeist im Verborgenen statt. Aus den Augen, aus dem Sinn – so erleben es häufig pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen.

Viel Arbeit ist daher notwendig um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass dies was hinter verschlossenen Türen durch pflegende Angehörige tagtäglich geleistet wird, anerkennenswert ist.

Apropos Wert:

Anerkennung wird häufig mit Wertschätzung in Zusammenhang gebracht. Wird das, was pflegende Angehörige täglich leisten auch wirklich als wertvoll angesehen? Ihre Arbeit wird nicht mit derselben Wertigkeit anerkannt wie die einer Pflegefachkraft – weder ideell noch finanziell. Häufig müssen sich pflegende Angehörige sogar belächeln lassen, wenn sie ihrer Umwelt erzählen, dass Sie pflegen. Ihre Arbeit wird auch nicht gleichgesetzt mit der Eltern- oder Erziehungsarbeit.

Die pflegenden Angehörigen haben es vielerorts nicht ins öffentliche Bewusstsein geschafft.

Damit geringschätzt man zum einen die Motive, aus denen heraus die meisten ihre Angehörigen pflegen - nämlich Liebe und Verantwortungsbewusstsein und zum anderen geringschätzt man auch den menschlichen und sozialen Wert ihrer Arbeit und den Wert für die Gesellschaft.

Der größte Pflegedienst der Nation ermöglicht seinen Angehörigen ein grösst- und längstmögliches selbstbestimmtes Leben. Pflegende Angehörige ersparen der Gemeinschaft Kosten in Milliardenhöhe, welche ansonsten für die Pflege in stationären Einrichtungen aufgewendet werden müssten. Ohne sie wäre der Fachkräftemangel in der (beruflichen) Pflege noch viel deutlicher zu spüren als bereits jetzt.

Ihr Wert kann also eigentlich gar nicht hoch genug eingeschätzt und anerkannt werden. Vom guten Gefühl, jemanden die bestmögliche Pflege zu geben, kann man nicht leben. Man braucht soziale Kontakte und materielle Sicherheit. Man will soziale Anerkennung und auch die Möglichkeit haben sich selbst zu verwirklichen. Außerdem benötigt man Zeit für die eigene Regeneration, um ja nicht auszubrennen.

Jeder kann einen Beitrag dazu leisten, dass die häusliche Pflege aufrichtig wertgeschätzt und anerkannt wird. Pflegende Angehörige sollten sich selbst, für das was Sie tun, mehr loben – auch öffentlich.

Wer sich selbst wertschätzt, tritt anders auf, wird anders oder vielleicht sogar erstmals wahrgenommen und anerkannt.

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