Worum geht es bei der Pensionsreform?
Die Regierung will die Pensionen nicht
mehr an die Inflationsrate koppeln und ausgleichen. Wenn dies nicht
geschieht, führt dies logischerweise zu einem realen
Kaufkraftverlust der zukünftigen Pensionen. Die volle Pensionshöhe erlangt man
außerdem nur noch, nachdem man vierzig Beitragsjahre abgeleistet
hat. Das Einstrittsalter in die Pension soll
zudem bei den Männern auf 65 und bei den Frauen auf 62 Jahre erhöht
werden. Wer weniger als vierzig Jahre in den
Pensionstopf einzahlt, wird in Zukunft drastische Verluste hinnehmen
müssen. Die Erhöhung auf vierzig
Mindestbeitragsjahre führt dazu, dass die Jugendlichen noch früher
als bisher, auf den Arbeitsmarkt drängen. Dies bedeutet, dass sie
einerseits auf eine längere Schulausbildung bzw. ein Studium
verzichten.
Der Reformtext von Wirtschaftsminister
Paulo Guedes besagt, dass aufgrund der „ökonomischen
Nachhaltigkeit“, die Pensionen nicht mehr wie bisher über das
staatlich verwaltete Solidarsystem zu finanzieren sind, sondern aus
privaten Kapitalanlagen, in welche die Beiträge eingezahlt werden
sollen. Die Gewerkschafter gehen von einer
drastischen Zunahme der Altersarmut aus. Es gibt nur wenige
Abgeordnete, welche sich öffentlich für die Pensionsreform
aussprechen, denn selbst unter den konservativen Parlamentariern ist
diese höchst umstritten.
Die Regierung-Bolsonaro steht unter
immensen Druck, um die notwendigen Mehrheiten in den Ausschüssen und
Kammern zu erreichen, notfalls dann halt auch mit Geld. Mitte März hat sich nämlich
herausgestellt, dass Präsident Bolsonaro Stimmen kauft indem er
finanziell lukrative Jobs an Parlamentarier vergibt, welche der
Pensionsreform zustimmen. Dazu gibt es Audio-Aufnahmen, welche der
Zeitung O Globo „zugespielt“ wurden. Darauf zu hören sind einige
Mitglieder der Regierungspartei PSL im Gespräch über den Tausch
von „Posten für Stimme“.
Nebenbei sei erwähnt, dass Bolsonaro
in seinem Wahlkampf mehrmals darauf hingewiesen hat, dass mit der
unsäglichen Gepflogen-heit des Stimmenkaufs im Parlament, als Mittel
zur Mehrheitsbeschaffung, endgültig Schluss sein müsse.
Er würde dies sofort beenden....
Nicht nur gegen die Pensionsreform
demonstrierte in den letzten Tagen die brasilianische Bevölkerung,
sondern auch gegen die massive Zunahme an gewaltsamen Übergriffen
auf die Frauen. Vor einem Jahr wurde die schwarze,
lesbische aus einem Armenviertel stammende Stadträtin Marielle
Franco ermordet, man kann auch sagen, hingerichtet. Sie wurde am 14. März 2018, gemeinsam
mit ihrem Fahrer, nur wenige Tage nachdem sie Vorsitzende einer
Kommission für die Aufklärung militärischer Interventionen in
Brasilien geworden war, in ihrem Auto erschossen. Ihr Todesurteil war, dass sie sich vor
ihrem Tod gegen exzessive Polizeigewalt und extralegale Hinrichtungen
ausgesprochen hat. Desweiteren hat sie die föderale Intervention des
brasilianischen Michel Temer iin Rio de Janeiro im Februar 2018,
welche zum Militäreinsatz führte, heftig kritisiert.
Beim diesjährigen Karneval von Rio,
war die Ermordete allgegenwärtig.
Ihre Lebensgefährtin Monica Benicio
nahm am Umzug teil und sprach: „Ich bin nicht hier im Karneval,
um zu feiern, sondern um ein politisches Statement abzugeben.
Marielle und ich haben den Karneval stets als einen Raum des
Widerstandes verstanden, und genau das werde ich hier machen.“
Marielle Franco war beim Karneval stehts
sichtbar, denn sie steht symbolhaft für den Kampf der
brasilianischen Frauen im Macho-Land Brasilien. Das Konterfei von
Marielle Franco prangte auf zahlreichen Plakaten und T-Shirts.
Die Journalistin Oliveira meinte
angesprochen auf die Gewalt gegen die Frauen, dass die
brasilianischen Männer seit der Zeit der Sklaverei, besonders die
dunkelhäutigen Frauen als ihr Eigentum betrachteten, mit denen sie
machen könnten was sie wollten. „Die Gewalt gegen diese Gruppe
hat in den vergangenen Jahren zugenommen, und das scheint mir
angesichts der aktuellen konservativen Welle kein Zufall zu sein“
Präsident Bolsonaro ist im Parlament
bereits vor Jahren mit verbalen Entgleisungen aufgefallen. Über eine Parlamentskollegin meinte
er einst, dass sie zu hässlich sei, um von ihm vergewaltigt zu
werden.
Es ist nicht verwunderlich, dass
ausgerechnet die Anhänger von Bolsonaro, die brasilianische
Frauen-bewegung verhöhnen. Vor „laufender“ Kamera, zerstörten
sie Schilder mit dem Namen von Marielle Franco.
Fakt ist, dass im Jahre 2018, die
Gewalt gegen die brasilianischen Frauen, um 30 % zugenommen hat. Die
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat sogar von einer
„Epidemie“ der Gewalt gegen Frauen gesprochen. Die Justiz kommt mit der Aufarbeitung
dieser Fälle nicht mehr nach. Damit ist gemeint, dass es bereits zu
Beginn des Jahres 2018, etwa 1.200.000 unbearbeiteter Fälle gab!
Seit dem Jahre 2006 gibt es in
Brasilien ein vorbildliches Gesetz namens „Maria da Penha“. Dies
wurde vor allem für die Fälle von häuslicher Gewalt geschaffen –
die Umsetzung ist allerdings mangelhaft. Seit dem Jahre 2015 wurde ein Gesetz
gegen den „Femizid“ erlassen. Es betrifft die Tötung einer Frau
aufgrund ihres Geschlechts. Human Rights Watch spricht alleine für
das Jahr 2017 von 1.333 „Frauenmorden“.
Die Frauen demonstrieren nicht nur
gegen die zunehmende Gewalt, sondern auch dafür, dass sie eine
höhere Anerkennung bekommen. Die Anzahl der Parlamentarierinnen
betrug 2014 nur 10% und stieg bis 2018 auf immer noch lächerliche
15%. Es ist ausgerechnet die Partei von
Bolsonaro, welche die gesetzliche Frauenquote von 30% erreicht. Seine
Meinung zu Gleiche Löhne für Männer und Frauen? Da könne er
nichts machen...
Na gut, diese Frage würde in
Österreich ein Herr Kurz auch nicht anders beantworten...
Unter der Zunahme von Polizeigewalt
muss die brasilianische Bevölkerung, seit Jair Bolsonaro an der
Macht ist, ebenso leiden.
Ein Beispiel dafür ist die
Erschiessung eines 12-jährigen Jungen namens Kauan Peixoto.
Sein Verbrechen?
Am 16. März 2019 hatte er in der
Favela Mesquita in Rio de Janeiro, gemeinsam mit seinem Stiefbruder,
wie alle zwei Wochen, seinen Vater besucht. Die Beiden waren
einkaufen. Ein Wagen der Militärpolizei kam angefahren und der
zwölfjährige Kauan blieb, im Gegensatz zu seinem Stiefbruder,
stehen. Er hatte sich ja schließlich nichts zuschulden kommen
lassen. Die Beamten stiegen aus dem Wagen und schossen ihn, nach
übereinstimmenden Zeugenaussagen, zuerst in den Bauch und dann in
die Beine. Der Junge hatte noch gerufen: „Ich bin kein Dieb, ich
wohne hier!“.
Die Rechtfertigung der Militärpolizei
lautete, dass Kaunan Peixoto leider Pech hatte und beim Schusswechsel
mit Bandenmitgliedern, von mehreren verirrten Kugeln getroffen wurde. Augenzeugen sprachen hingegen von einer
Exekution....
Die brasilianische NGO namens
„Seguridad Publica“ verkündet, dass alleine in Rio de Janeiro,
im Februar 2019, insgesamt 160 Favela-Bewohner von Polizisten
erschossen wurden.
In ganz Brasilien wurden im Jahre 2018,
wohlgemerkt von der Polizei, mehr als 5.000 Menschen erschossen...
In ganz Brasilien gab es im Jahre 2017,
63.880 Morde. Umgerechnet auf die österreichische Bevölkerung
ergäbe dies etwa 2.900 Morde pro Jahr...
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